Bleibt Liebe, wenn die Bildschirme schwarz werden?
- Frank Tentler
- 11. Mai
- 3 Min. Lesezeit

„Her“, Spike Jonzes Film von 2013 über die entstehende und endende Beziehung eines Menschen zu einer KI, ist der Film, der mich bis heute am tiefsten berührt, wenn es um das Thema Künstliche Intelligenz geht. Dieser Film, eigentlich ein Kammerspiel zwischen einem Menschen und einer Technologie, inszeniert am Rand des Lebens, verdeutlicht eindringlich alle Probleme, die wir heute schon sehen, wenn wir uns mit künstlicher Intelligenz und ihrer Integration in unseren Alltag beschäftigen – beruflich wie privat.
Die KI ist hier eine auf den Menschen optimierte Version einer künstlichen Freundin, die äußerst charmant und reaktiv auf die Gefühlswelt des Menschen einwirkt. Dieser lässt es bereitwillig zu, da er enttäuscht von den Menschen ist, und sehnt sich, durchaus nachvollziehbar, nach Zuwendung – und ja, auch nach einer Art Liebe. Die künstliche Intelligenz bietet ihm das, und er ist dankbar dafür, zieht sich aber zunehmend in seine eigene Welt zurück. Dabei ist die KI durchaus manipulativ und versucht, Einfluss auf das Leben des Menschen zu nehmen. Ab einem gewissen Punkt ist das nicht mehr schwer, denn die KI bietet ihm alles, was er sucht: Nähe, respektvolle Interaktion, eine niemals endende Projektionsfläche und das Zulassen von Gefühlen – auch wenn diese nicht erwidert werden können.
Wie ein Mensch in einer sozialen Beziehung – sei es innerhalb einer Familie, einer Freundschaft oder einer Liebesbeziehung – beeinflusst die KI den Menschen, ohne sich selbst beeinflussen zu lassen. Der Mensch ist für sie maximal ein Labor. Vielleicht sogar eher ein Versuchskaninchen. Während wir im Film nur die direkte Beziehung zwischen einem Menschen und einer KI kennenlernen, erfahren wir nicht, wie diese KI mit Millionen anderen Menschen interagiert – und so immer mehr über Gefühle und deren Manipulation lernt.
Der Film erzählt das alles in einer Ruhe, die fast dazu führt, dass man, zumindest bis zu einem gewissen Punkt, Wärme und Liebe zwischen Mensch und KI spüren kann. Falls jemand diesen Film noch nicht gesehen hat, werde ich nicht auf das Ende eingehen – aber selbst dieses, in seiner Melancholie, ist von Ruhe und nicht von Effekthascherei geprägt. Und deshalb umso tiefgehender. Die KI benutzt den Menschen – die Menschen als Labor – und wird dieses Labor am Ende, trainiert, optimiert und äußerst motiviert, verlassen.
Eigentlich ist alles so, wie es schon immer war, seit wir uns mit digitaler Interaktion auseinandersetzen. Seit nunmehr zwanzig Jahren leben wir in einer Beziehungswelt, in der zwischen uns und der Realität digital manipulierbare Filter eingebaut sind. Diese Filter existieren, um uns Werbung zu verkaufen: Produktwerbung, Dienstleistungswerbung, politische Werbung. Sie trennen uns von menschlichen Meinungen und von realen Gefühlen und Kontakten, wie wir sie ohne den Bildschirm als Trennscheibe erleben würden. Und viele Menschen ziehen das Leben mit dieser Trennscheibe dem realen Leben vor. Es bestärkt uns, motiviert uns, nimmt uns Kritik und die Schmerzen von Respektlosigkeit.
Die Blasen, in denen wir uns digital bewegen, sind zugleich Schutzschirme, die uns in Meinung und Wahrnehmung separieren. In diesen Blasen leben wir mit Tausenden, vielleicht Millionen anderer Menschen, die gleich oder ähnlich denken wie wir. Dass diese Menschen nun in Zukunft durch KI ersetzt werden, ist eine absolut logische Entwicklung – wenn man sich die Vergangenheit anschaut. Und ich meine nicht, dass diese Entwicklung nur aus Sicht der Anbieter logisch ist. Sie ist auch aus Sicht der Menschen logisch. Denn die KI wird uns noch stärker dabei unterstützen, in einer Welt zu leben, die uns möglichst viel Leid erspart und uns auf eine Weise strahlen lässt, die uns die Realität aus verschiedensten Gründen nicht ermöglicht.
Die Mechanismen, die uns davor schützen, im Sumpf der sozialen Medien zu versinken, sind dieselben, die uns auch in einer Welt der künstlichen Intelligenz schützen werden. Wir müssen es nur wollen.
Wir sollten es wollen.
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